Der Finanzexperte Vito Micoli im Interview: Die Zinswende ist für viele schneller gekommen als gedacht. Die Zinsen für Tagesgelder und Festgeldkonten liegen wieder auf einem niedrigen Niveau. Was denken Sie, wie weit die EZB noch gehen wird mit ihren Leitzinssenkungen?
Der Druck auf die EZB, den Leitzins weiter zu senken, wächst – vor allem, wenn die Inflation nachhaltig unter Kontrolle bleibt und die Konjunktur in Europa nicht richtig in Schwung kommt. Ich rechne mittelfristig mit ein bis zwei weiteren Senkungen. Allerdings wird sich das Zinsniveau wohl nicht mehr dem ‚Nullzins-Jahrzehnt‘ annähern. Die Zeiten des extrem günstigen Geldes sind vorbei.
Wer aber Kapital längerfristig aufbauen oder real erhalten will, sollte sich mit anderen, möglichst breit gestreuten Anlageformen beschäftigen.
Vito Micoli im Interview mit Finanz-aktuell.info
Sollten die Anleger Ihrer Ansicht nach trotzdem noch weiter auf Tagesgeld und Festgeld setzen oder lieber auf andere Anlagearten umsteigen?
Tages- und Festgeld haben als Baustein einer Anlagestrategie nach wie vor ihre Berechtigung – etwa für kurzfristige Rücklagen oder Notgroschen. Wer aber Kapital längerfristig aufbauen oder real erhalten will, sollte sich mit anderen, möglichst breit gestreuten Anlageformen beschäftigen. Denn niedrige Zinsen plus Inflation bedeuten auf Sicht oft einen Kaufkraftverlust.
Wer langfristig Vermögen aufbauen möchte, sollte auf kostengünstige und breit gestreute Anlagen setzen.
Finanzexperte Vito Micoli
Und welche Anlagearten würden Sie in Zeiten sinkender Zinsen am ehesten als Lösung sehen für Anleger, die eine risikoarme Anlage bevorzugen oder am besten gar kein Risiko eingehen wollen beim Ansparen von Rücklagen oder bei der Vermögensanlage?
Gerade für Einsteiger sind einfache, transparente und risikoarme Produkte ein sinnvoller Startpunkt. Wer langfristig Vermögen aufbauen möchte, sollte auf kostengünstige und breit gestreute Anlagen setzen – etwa ETF-Sparpläne auf globale Indizes wie den MSCI World, Anleihen hoher Bonität oder gemischte Fonds. Parallel entstehen durch den Einsatz von Big Data, KI und algorithmusbasierten Modellen neue Produkttypen – etwa Fonds oder Anleihen mit fixer Verzinsung, Gewinnbeteiligung oder dynamischer Risikosteuerung. Auch diese können – bei entsprechender Transparenz – eine interessante Ergänzung sein. Natürlich können Anleger auch weiterhin auf Einzelaktien setzen. Diese bergen allerdings grundsätzlich ein höheres Risiko. Entsprechend gilt es gut zu diversifizieren und auf stabile Unternehmen zu setzen – etwa mit langjähriger Dividendenkontinuität.
Was halten Sie von Bitcoin und anderen Kryptowährungen als Geldanlage? Für so manche Experten sind Kryptos ja nach wie vor nichts anderes als Glücksspiel und Casino statt Investment, für andere hingegen ist es DAS Investmentding der Gegenwart.
Ich sehe Kryptowährungen nicht als tragende Säule für den Vermögensaufbau. Dafür ist die Volatilität zu hoch und die Regulierung noch zu unklar. Wer es sich leisten kann, einen kleinen Betrag spekulativ zu investieren, kann das tun, aber nur mit der Einstellung: ‚Ich kann es auch verlieren.‘ Wer Stabilität sucht, ist am Kryptomarkt fehl am Platz.
Und was halten Sie von Robo-Advisors? (Anmerkung der Redaktion: Robo Advisor sind digitale Geldberater und Vermögensverwalter – eine umfassendere Erklärung dazu finden Sie hier) Denken Sie, dass dies die Möglichkeit der Geldanlage der Zukunft ist?
Robo-Advisors können gerade für jüngere oder weniger erfahrene Anleger ein sinnvoller Einstieg sein. Sie bieten automatisierte Risikoprofilierung, Diversifikation und Rebalancing – Funktionen, die helfen, Anlageentscheidungen zu strukturieren. Dennoch darf man nicht vergessen: Ein Algorithmus ersetzt keine persönliche Beratung, insbesondere wenn es um individuelle Finanzziele oder komplexere Lebenssituationen geht. Robo-Advisors sind Werkzeuge – keine Wundermittel.
Gerade in volatilen Marktphasen stößt rein automatisiertes Investieren an Grenzen. Meiner Erfahrung nach ist vor allem in turbulenten Zeiten die menschliche Komponente unverzichtbar. Deshalb setzen wir auf ein hybrides Modell. Unsere Software handelt selbstständig, wird aber durch professionelle Trader überwacht, die bei Bedarf korrigierend einwirken. Zudem sollten Anleger die technologischen Risiken nicht unterschätzen: Systemausfälle, Cyberangriffe oder fehlerhafte Algorithmen können im Ernstfall erhebliche Verluste verursachen. Entsprechend bleibt Risikomanagement entscheidend.
Wichtig ist, dass man sich selbst ehrlich einschätzt: Wie stark reagiere ich auf Schwankungen?
Vito Micoli im Interview
Robo-Advisors empfehlen unterschiedliche Strategien für die verschiedenen Anleger-Risikoprofile. Welche Anlagestrategie würden Sie empfehlen für Sparer, deren Tagesgeld schon vor den sinkenden Zinsen zu wenig Zinsen gebracht hat, die aber auch nicht ein allzu hohes Risiko eingehen wollen?
Eine ausgewogene Strategie, also mit einem moderaten Anteil an Aktien kombiniert mit festverzinslichen Produkten, ist oft ein guter Kompromiss. Wichtig ist, dass man sich selbst ehrlich einschätzt: Wie stark reagiere ich auf Schwankungen? Wer damit umgehen kann, sollte auf langfristige Streuung setzen – das reduziert das Risiko, ohne auf Chancen zu verzichten.
Last, but not least eine letzte Frage. Sie bringen über 40 Jahre Berufserfahrung mit. Seit 2023 sind Sie Geschäftsführer von FI Investments. In den letzten Jahren war immer wieder fehlende Finanzbildung ein großes Thema. Wie, denken Sie, könnte Finanzbildung auch in Schulen betrieben werden und welche Hauptaugenmerke sollte dieser Bereich dann haben?
Finanzbildung sollte so früh wie möglich beginnen, am besten schon in der Sekundarstufe. Dabei sollten Grundlagen im Fokus stehen: Wie hängen Zins und Inflation zusammen? Wie funktioniert ein Haushaltsbudget? Was sind Chancen und Risiken von Investitionen? Ein Pflichtfach ‚Wirtschaft & Finanzen‘ wäre längst überfällig. Finanzwissen ist heute Lebenskompetenz.
Finanz-aktuell.info im Interview mit Vito Micoli, dem Geschäftsführer von FI Investments. Micoli ist Betriebswirt und Unternehmer, hat 40+ Jahre Erfahrung in Firmenstrukturierung, Beratung, Buchhaltung & Steuern.
